Aus aktuellem Anlaß: Blackout von Marc Elsberg

Wir wissen alle, daß die sogenannten "intelligenten Stromzähler" Schnüffler par excellence sind. So weit, so blöd. Wir wissen auch, daß sie kleineren Verbrauchern wie Privatpersonen keinen Gewinn bringen: Schon die laufenden Kosten sind höher als das Sparpotential, von der Miete für das Gerät und den Erstanschaffungskosten gar nicht zu reden. Auch blöd.

Dann habe ich Blackout von Marc Elsberg gelesen. Und da wurde es mir so richtig blümerant. Denn der "Fiction"-Teil in diesem Science Fiction ist nur das, was sich auf erfundene Personen und Gruppierungen bezieht. Der Rest ist Science.

Auf einmal fällt beim Protagonisten der Strom aus. Er guckt ein bißchen genauer und stellt fest, daß sein Zähler durch die Fernwartung abgeschaltet wurde. (Ja, diese Funktion gibt es bei den aktuellen vernetzten Stromzählern.) Und dann knallt es immer weiter, der Strom fällt großflächig aus, die Kraftwerke schalten sich ab (Stuxnet, irgend jemand?) und lassen sich auch nicht mehr hochfahren. Das ist der Non-Fiction-Teil, denn genau das kann passieren.

Beeindruckend fand ich, daß ich Elsberg bei ein paar Abkürzungen erwischt habe, aber nicht bei einem technischen Fehler. Sogar wenn es um IT ging - und das will was heißen

Ich habe mir mal den Spaß gemacht, mit einem Vertreter eines großen deutschen Energieversorgers zu quatschen, der die Geräte auf einer Messe vorgestellt hat. Natürlich hatte ich mein Tablet dabei und wir haben zusammen mal geguckt, was so ein Stromzähler macht und kann; so eine Gelegenheit läßt man sich nicht entgehen. Danach brauchte ich erst einmal einen starken Kaffee. Der nette Mann vom Energieversorger auch.

Der aktuelle Anlaß ist das hier:

Zitat

Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur "Digitalisierung der Energiewende" auf den Weg gebracht, wonach Netzbetreiber auch Heime mit geringem Stromverbrauch mit intelligenten Messsystemen aufrüsten dürften. (Quelle: heise.de)

Zitat von Kakaokau

Trotz der Abstriche bei der literarischen Qualität tatsächlich absolut lesenswert!

Für einen Erstling fand ich wenig auszusetzen. Vor allem keine Adjektivitis Die gesammelten Arschlöcher in der Bevölkerung fand ich auch einigermaßen glaubwürdig, aber ich bin auch Zyniker.

Zitat von Kakaokau

(...und wer danach noch einen "intelligenten Stromzähler" will, dem ist nicht mehr zu helfen)

Yep. So ein Ding kommt mir nur mit Gerichtsbeschluß ins Haus Ich hoffe, daß es rechtzeitig Stromgeneratoren ohne Diesel gibt, denn Solarzellen reichen für die Vollversorgung leider nicht Dann können mich die Stromversorger nämlich mal ... aus der Kundenkartei streichen

Zitat von mcfrogger

Gut an dem Buch ist auch, dass es etwas mit dem Märchen aufräumt, die Blackoutgefahr entstehe durch zu wenig Strom.
Die Gefahr lauert - wie in dem Buch gut recherchiert - in der abrupten Senkung des Verbrauchs, marode Technik, schlechte Kommunikation und menschlichem Egoismus (aber damit lässt sich nichts verdienen - bzw. keine Lobbyarbeit machen).

Es hat mich schockiert, wie fragil die Stromnetze sind, schon per Design. Die schlechte Wartung kommt ja noch oben drauf. Dazu die Übergabestellen an andere Länder als SPoF. Gruselig.

Man müßte das ganze System massiv dezentralisieren, aber dann müßten auch Bayern und Baden-Württemberg erneuerbare Energien zulassen (Igitt, ein Windrad). Das scheitert schon an ... ach, fangen wir gar nicht an, die lassen ja noch nicht einmal unterirdische Wasserspeicherkraftwerke zu. Im Buch kommen die massiven Leitungsverluste auch nicht vor. Das hat mich so richtig angekäst: Im Norden werden fünf Windräder gebaut, damit in Bayern der Strom von dreien ankommt.

Zitat von mcfrogger

Schade an dem Buch ist, dass es im zweiten Teil immer mehr in den Terrorismus abgleitet. Viel spannender wäre gewesen das gesellschaftliche Szenerio, von der anfänglichen Gelassenheit und Hilfsbereitschaft hin zur Panik und "Hauptsache-Ich-Mentalität, auszuarbeiten. Wie lange braucht es, bis es nur noch "Arschlöcher" in der Bevölkerung gibt.
Was allerdings viel bedrohlicher gewirkt hätte und mit einem Happy-End wirds dann auch schwierig - blöd für die Verkaufszahlen.

Zynisch wie ich bin, fand ich Elsbergs Beschreibung durchaus realistisch. Und dann haben mich meine Landleute überrascht, indem sie Flüchtende an Bahnhöfen willkommen heißen. Gleichzeitig ist viel von dem, was die Pegidioten erzählen, schierer Neid und Mißgunst. Ich denke, bei der nächsten Bundestagswahl werden wir ablesen können, wie groß der Arschloch-Anteil in DE tatsächlich ist.

Aber ganz ehrlich: Nachdem ich das Buch gelesen hatte, habe ich meine Vorräte überprüft und in ein paar kleine Solarpaneele für meine Gadgets investiert

Zitat von mcfrogger

Edit: Der Thread läuft falsch rum. Zumindest bei mir - von unten nach oben.

Bei mir auch.

Zitat von mcfrogger

Edit 2: Hat jemand sein neues (?) Buch "ZERO" schon gelesen?

Ich hab's mir gerade geliehen, werde aber länger brauchen als sonst, weil gerade keine Bahnfahrt ansteht.

Zitat von mcfrogger

Früher oder später (eher früher) wirst du im Falle eines Falles "Besuch" bekommen, der dich dieser Dinge entledigen wird...

Ach, da mache ich mir nicht so viel Sorgen. Ich beiße.

Zitat von mcfrogger

Edit 2: Hat jemand sein neues (?) Buch "ZERO" schon gelesen?

Ich habe gerade das erste Kapitel gelesen. Läßt sich hervorragend an und ich freue mich schon auf die nächsten Kapitel Oder auch nicht. Denn ich vermute nach den paar Seiten, daß das Buch genauso realistisch und gruselig ist wie Blackout.

Die Protagonistin hat gerade eine "Datenbrille" (aka Google Glas) bekommen und testet sie aus.

Zitat

Cyn muss noch in den Su­per­markt, ein paar Klei­nig­kei­ten ein­kau­fen. In der Ge­mü­se­ab­tei­lung greift sie nach einem Beu­tel To­ma­ten, als die Bril­le sie vor Pes­ti­zi­den warnt. Cyn lässt die To­ma­ten lie­gen und geht wei­ter in den Gang mit den Kek­sen. Die Bril­le emp­fiehlt ihr, die Kekse in einem an­de­ren Su­per­markt um die Ecke zu kau­fen, wo sie um drei­ßig Pence güns­ti­ger sind. Cyn schiebt den Ein­kaufs­wa­gen zu­rück und macht sich auf den Weg zur Kon­kur­renz.

Tat­säch­lich sind die Kekse dort im An­ge­bot und die To­ma­ten reif, saf­tig und bio. Sie merkt, wie ihre Vor­be­hal­te gegen die Bril­le mehr und mehr ver­schwin­den. Stau­nend re­gis­triert sie ihren schnel­len, spie­le­ri­schen Um­gang mit dem Ding. Sie schlen­dert neu­gie­rig durch die Gänge und mus­tert ver­schie­de­ne Son­der­an­ge­bo­te. Die Bril­le schlägt ihr pas­sen­de Re­zep­te vor. Als sie sich für Ei­er-Sand­wi­ches ent­schei­det, fragt die Bril­le sie, wel­che der Zu­ta­ten sie zu Hause hat, und er­in­nert sie daran, die feh­len­den ein­zu­kau­fen.

Bald dar­auf steht sie mit vol­lem Wagen an der Kasse und be­ginnt zu zö­gern. Was tut sie hier? Sie woll­te doch bloß To­ma­ten und Kekse kau­fen. Aber, zu­ge­ge­ben, alles in dem Ein­kaufs­wa­gen kann sie gut ge­brau­chen.

Hin­ter ihr hat sich eine Schlan­ge ge­bil­det. Nach­denk­lich packt sie die Waren aufs Band und holt ihr Porte­mon­naie aus der Ta­sche. Die Bril­le emp­fiehlt ihr die Kun­den­kar­te des Su­per­markts und rech­net ihr vor, wie viel sie damit be­reits bei die­sem ers­ten Ein­kauf spa­ren kann.

Noch eine Karte?, fragt sich Cyn mit Blick in ihre Geld­bör­se und ent­schließt sich spon­tan da­ge­gen. Sie zahlt bar. Von wegen glä­ser­ner Kunde!, denkt sie.

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Besser kann man das Dilemma und die Sorglosigkeit der meisten Leute nicht beschreiben.

Zitat von Bridgeelke

Sollten wir hier alle zusammenlegen und der Kanzlerin 'blackout' schenken?

Du meinst Merkel? Die erst rin inne Atomkraft, dann raus ausse Atomkraft und jetzt wieder rin inne Atomkraft Merkel? Dieselbe Merkel, die total pro Energiewende ist, solange die CSU sich nicht räuspert? Die die Nord-Süd-Trasse für Strom befürwortet, solange die Energieversorger sie für wirtschaftlich halten? Dieselbe, die den aktuellen Anlaß für die Buchempfehlung geliefert hat?

Ich glaube, da spende ich lieber an den NABU.

So, ich habe Zero jetzt alle Hat ein bißchen länger gedauert.

Mir gefällt es nicht so gut wie Blackout, aber das kann auch daran liegen, daß darin für mich nichts wirklich neu ist Nichts von den im Buch beschriebenen Dingen ist unmöglich, auch heute schon. Einige Fäden werden für meinen Geschmack nicht ausgesponnen, etwa die Rolle von Alice (mehr sage ich nicht, ich will's euch ja nicht verderben ).

Was Elsberg wirklich gut herausarbeitet ist, daß die Ergebnisse der Datenanalysen auf den Ansichten der Analytiker beruht. Man sieht nur, was man erwartet. Das liegt daran, daß bei Big Data konsequent Korrelation mit Kausalität verwechselt wird (ein paar amüsante Beispiele dazu gibt es bei Spurious Correlations). Leider fällt Elsberg genauso in diese Falle, deswegen bleibt seiner Protagonistin auch nur ein ziemlich hilfloses Gefühl, daß ihr der Zustand der Welt, in der sie lebt, nicht gefällt. Ebenfalls gut herausgearbeitet ist, daß die daraus folgenden Handlungsempfehlungen auf dem Wertesystem der Programmierer aufgebaut sind. Früher nannte man das Kulturimperialismus.

Es gibt ein paar Abkürzungen, die eine Erklärung gebraucht hätten. Die Sache mit dem Raspi und dem Fernseher, zB. Ein Raspi kann durchaus mit Tails laufen (da sind wir wieder bei "Anonym im Internet"), soweit ist das kein Problem. Aber warum ein Fernseher? Entweder ist das Ding "smart", dann ist die Verbindung nicht sicher, oder es ist überflüssig (GSM-Modul im Raspi) und jeder normale Monitor wäre sicherer gewesen.

Trotzdem: Klare Leseempfehlung. Und der Hinweis, daß man dem Treiben nicht hilflos ausgeliefert ist, wie es am Ende des Buches heißt. Weil eben die Füße von Big Data aus Ton sind. Das heißt allerdings nicht, daß man die Überwachung (egal von wem) hinnehmen sollte, denn auch falsche Analysen haben extreme Konsequenzen.

Wie Zero sagt: Im Übrigen bin ich der Meinung, daß Datenkraken zerschlagen werden müssen.

Zitat von Kakaokau

Kennt jemand "Ausgebrannt" von Andreas Eschbach? Macht auch ziemlich nachdenklich - vor allem im Winter...

Gibt's das in der Onleihe?