Automatennetze
Langsam bestätigt sich mir beim Onleihe-System und bei den ÖRR-Mediatheken (im Kleinen und aufgrund ihrer diversen Komplexitäten) ein Eindruck, der sich seit Jahrzehnten schon durch mein Berufsleben als EDV-Supportmitarbeiter zog und weiter zieht (beruflich aktuell):
Wir steuern auf ein Chaos zu, das immer unbeherrschbarer wird und das mit höheren Anforderungen, weniger Zeit und vergleichsweise weniger Personal als zu früheren Zeiten (wo mitnichten alles besser war, aber alles noch langsamer ging).
Die hehren Grundsätze der IT (die freilich nie ganz realisiert, aber in meinem "Lieblingssystem" leicht durchzuziehen waren) wurden nicht nur durch Microsoft und Windoof ad absurdum geführt, sondern werden es erst recht durch die derzeitige App-o-Mania. Dabei sind Apps längst auch gaaanz kalter Kaffee, wurden mit oben erwähntem System in ihren prinzipiell positiven Aspekten schon 1986/88 entwickelt und realisiert, nur merkte der User nichts davon.
Allerdings sollte damals gelten: Es gibt nur eine einzige Beschreibung eines Datenbestandes bzw. von Sichten auf mehrere zusammenzufassende Bestände, auf die jedes Programm zugreifen muss (auf die Beschreibung inklusive der Berechtigungen), um überhaupt an die Daten zu kommen - jedes Systemobjekt ist ein Datenbankobjekt - jede angebotene/mögliche Transaktion ist direkt von den betroffenen Inhalten und den Berechtigungen auf sie abhängig.
Da konnte es einfach nicht sein, dass eine Option auszuwählen, eine Manipulation vorzunehmen oder ein Ergebnis anzuzeigen war, welche die Datensätze und die Berechtigungen nicht hergaben. Der "Versuch" dazu war eindeutig ein geradezu vorsätzlicher Programmierfehler oder eben eine nachvollziehbare Frage falsch eingegebener oder vorher schon falsch veränderter Inhalte oder Berechtigungen (letztes auf Feldebene).
Wenn ich mir jetzt zu den Apps, die ja ganz offensichtlich anders auf die relevanten Daten zugreifen, als die parallel laufenden Web-Applikationen und als die sie erzeugenden und verwaltenden Systeme und die auch noch unterschiedlich zwischen Apple und Android funktionieren, noch Server-Server-Systeme unterschiedlicher Architekturen und mit unabhängigen Updates und Änderungen sowie sogenannte Clouds und das IoT dazudenke oder gar das automatisierte Fahren, dann wird mir schlecht...
Zumal eins dabei immer weitestgehend unbedacht bleibt: Vernetzte Automaten bilden unter nicht vorhergesehenen Umständen "gerne" ein Eigenleben aus. Das können auch gar nicht vorhersehbare Umstände sein, zumal die "Umstände" an vielen Stellen entstehen oder bestimmt werden, die darüber nicht miteinander kommunizieren.
Von wegen, Technikfolgenabschätzung: Tunnelblick, Mattscheibe, Betriebsblindheit...
Da wird zufällige Kongruenz oder Abfolge, quasi Synchronizität, zur Ursache von zerstörerischer Synchronität oder, je nachdem, Asynchronität, führt z. B. mikroskopisches Zeitverhalten in Folge zu makroskopischen Lawinen oder Kettenreaktionen und potenziell zum Totalversagen.
Beispiele, die mir einfallen, sind ein Ausfallen von Teilen des amerikanischen Telefonnetzes vor Jahrzehnten, dessen Ursachen m. W. nie ganz ergründet wurden, diverse Blackouts in diversen Stromversorgungen, ein legendärer Crash des automatisierten Börsenhandels und Microsoft-Updates oder einzelne von Virenscannern. Man nennt das dann gerne eine "unglückliche Verkettung von Umständen". Pustekuchen - es ist die menschliche Hybris bezüglich Allwissenheit und Weissagung - zumindest Vorhersehbarkeit -, in der sogar Sicherheitsvorkehrungen zum Gegenteil beitragen können.
Interessant finde ich, dass unser Hirn und Geist auf den selben Mechanismen basiert und unsere Hirne und Geister als Kollektive ebenfalls. Und dass auch dort heute noch eine winzige Störung in Gestalt eines einzelnen Hirns zum GAU ganzer Völker und Regionen führen kann...
Die Chaostheorie wurde mal so verstanden, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in China quasi zu einem Wirbelsturm irgendwo anders in der Welt führen könne. Blödes, da unverständliches Beispiel. Aber ein chinesisches Produkt in seiner Masse auf die Welt losgelassen kann für mich nachvollziehbar "dank" Vernetzung und Fehlern, Nachlässigkeiten und Unbedachtheiten beim Programmieren (eben auch an ganz anderer Stelle!) oder krimineller Energie zum Zusammenbruch ganzer Infrastrukturen führen, wie auch ein einziges, von Microzoff auf die Welt losgelassenes Update, intentional wie unintentional.
Für mich bewahrheitet sich ganz anders, als normalerweise verstanden, der Spruch: "It's not an error, it's a feature (it's by design)!" Der Fehler liegt schon in den Grundgedanken. Das ist freilich ein Auge, auf dem die Politik und die Wirtschaft nicht etwa blind wären, sondern von ganz intentionalem Verleugnen und Verlangen beherrscht werden...
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Für die, die sich unter dem Ganzen nichts vorstellen können, ist die Millennium-Bridge in London vielleicht ein verständliches Beispiel und der TED-Vortrag von Steven Strogatz über Synchronismus auch unbelebter Dinge (etwa ab Minute 10 oder 15, je nach Eile oder Englischkenntnissen). Wobei die Brücke ja schon ein komplexes Beispiel ist, weil man die Regelvorgänge im menschlichen Körper mit einbeziehen muss. In der Zeit, als dynamische oder variable Vernetzung nur vom Strom- oder vom Telefonnetz her jedem geläufig war, kannte man solche Erscheinungen populär eigentlich nur in Form von Resonanzaufschaukelung, Materialermüdung und atomarer Kettenreaktion... Die Techniker kämpften dazu noch mit recht simplen Regelschwingungen und bekamen sie oft genug nicht wirklich in den Griff, nur gedämpft...